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Vergleich Behindertenhilfe, "Ronald Rolli"

Für Nichtbehinderte ist es kaum möglich, sich die ständige Abhängigkeit von Personen und Institutionen vorzustellen.
Deshalb ein Beispiel: Ronald Rolli ist Mitarbeiter der Pflege-Sicherungs-GmbH. Vor drei Tagen hat er sich ein Bein gebrochen. Deshalb kann er sein Auto zur Zeit nicht selbst fahren. Aber er muss eine wichtige Verhandlung in einer zwei Autostunden entfernten Großstadt führen. Da der Termin sehr wichtig ist, stellt ihm die Pflege-Sicherungs-GmbH einen Fahrer.
Je nach Höhe des zur Verfügung gestellten Geldbetrages und Institutionszugehörigkeit (Pflegeheim, Zivildienststelle, Krankenkasse, Sozialamt etc.) der beauftragten Chauffeure verläuft diese Unternehmung unterschiedlich.
Texte größtenteils aus dem Jahr 2002

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Möglichkeiten

Philipp Pflegeheim

Philipp Pflegeheim kommt pünktlich, hat jedoch nur eine Stunde Zeit. Er ist unausgeschlafen, gestresst und außerdem ein schlechter Autofahrer. Er gibt vor den Weg zu kennen.
Philipp Pflegeheim fährt viel zu schnell und riskant. Sobald er auf seinen schlechten Fahrstil (Vollgas trotz roter Ampel) aufmerksam gemacht wird, reagiert er beleidigt. Er erklärt verärgert: "Es ist genügend Zeit zum Bremsen da, außerdem ist diese Ampel sowieso sinnlos." In der Zielstadt angekommen, verfährt er sich hoffnungslos und wirft Ronald Rolli schließlich vor, dieser hätte nicht genau genug den Weg beschrieben.
Demzufolge kommt Ronald Rolli zwei Stunden zu spät. Die Verhandlungen sind bereits abgeschlossen und der Auftrag wurde anderweitig vergeben.
Pflegeheim: Wird von Behinderten zuweilen als "Anstalt" mit "Insassen" bezeichnet. Die Spitze des Eisberges sind die Skandale, die von Zeit zu Zeit durch die Medien gehen: Todesfälle durch Pflegefehler, faulende Wunden und Fliegenmaden in Altenheimen.
Somit wäre "Notstandsverwaltung" die bessere Bezeichnung für die staatlichen Kontrollen.
Pflegeheim

Petra Pflegeheim

Sie möchte Ronald Rolli helfen und kommt deshalb eine Stunde früher. Diese Stunde wird ihr jedoch nicht von der Pflege-Sicherungs-GmbH vergütet. Sie fährt sehr gut und kommt pünktlich an.
Der Auftrag wird an die Pflege-Sicherungs-GmbH vergeben.
Auf dem Rückweg erklärt Petra Pflegeheim, dass sie die ständige Überlastung nicht mehr erträgt und in einen anderen Beruf wechseln möchte.
Pflegeheim: Mit der immensen physischen und psychischen Belastung schwindet das Engagement. Demzufolge wird der Beruf oft wenige Monate oder Jahre nach Ausbildungsende wieder aufgegeben. Obwohl Ausbildung und Bezahlung in den letzten Jahren besser geworden sind, verlassen gerade die guten und engagierten PflegerInnen häufig nach kurzer Zeit diesen Arbeitsbereich.
Pflegeheim

Simon Zivi

Sein Arbeitsplatz wird vom Staat subventioniert. Außerdem ist er noch in der Lehre und verdient recht wenig. Ihm werden von der Pflege-Sicherungs-GmbH 4 Stunden Fahrzeit zugestanden. Er besitzt seinen Führerschein erst seit einer Woche.
Er macht viele Fehler, die Ronald Rolli aber glücklicherweise rechtzeitig bemerkt und verbessert. Nach etwas mehr als 4 Stunden und einem Dutzend Beinahe-Unfällen erreicht der Wagen das Ziel.
Ronald R. ist völlig erschöpft und führt die Verhandlungen nicht zu seiner Zufriedenheit. Es ist noch unklar, an wen der Auftrag geht.
Der Rückweg dauert 5 Stunden, Simon Z. ist k.o., hat er doch 9 kostenlose Fahrstunden hinter sich. Ronald Rolli ist reif für die Insel.
Zivildienst: Für behinderte Menschen früher die nahezu einzige Möglichkeit, außerhalb von Familien ein selbstbestimmtes Leben zu führen. 2002 wurde der Zivildienst auf 10 Monate verkürzt, weitere Verkürzungen folgten. Seit dem 31.12.2011 gibt es in Deutschland keinen Zivildienst mehr. Weil auf Urlaub und Lehrgänge noch 2002 fast zwei Monate entfielen und eine manchmal sehr aufwendige Einarbeitung nötig war, wurde die eigentliche Arbeitszeit extrem kurz. Zivis waren die heterogenste Gruppe im Pflegebereich überhaupt: Von sehr guten und engagierten Krankenpflegern bis zu absoluter Interesselosigkeit war alles möglich. Für die jungen Männer war der Zivildienst meist eine wertvolle Lebenserfahrung.
Zivildienst

Sophia Sozialjahr

Sie besitzt ihren Führerschein schon seit zwei Wochen. Ihr ursprüngliches Berufsziel war Fernfahrerin. Auch sie ist noch in der Lehre und verdient recht wenig. Ihr werden von der Pflege-Sicherungs-GmbH 3,5 Stunden Fahrzeit zugestanden. Sie macht viele Fehler, die Ronald Rolli aber glücklicherweise rechtzeitig bemerkt und deshalb größere Schäden verhindern kann. Nach fast 4 Stunden und acht Beinahe-Unfällen ist das Ziel erreicht.
Ronald Rolli ist völlig erschöpft und führt aufgrund dessen die Verhandlungen unzureichend. Es ist noch unklar, an wen der Auftrag geht. Der Rückweg dauert 4 Stunden, Sophia S. ist müde, hat aber immerhin 8 kostenlose Fahrstunden hinter sich. Ronald Rolli ist urlaubsreif.
Freiwilliges soziales Jahr, FSJ: Ermöglicht jungen Menschen (16-27) das Kennenlernen eines sozialen Berufsfeldes. Das FSJ dient meist als Übergangsstadium zwischen Schule und Beruf. Die Dauer beträgt ein Jahr, jedoch entfallen auf Urlaub und Lehrgänge ca. 2 1/2 Monate.
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Amelie Ambulanz

Ihr werden von der Pflege-Sicherungs-GmbH 1,5 Stunden Fahrzeit zugebilligt. Sie kommt erst 30 Minuten nach dem vereinbarten Zeitpunkt und versucht die verloren gegangene Zeit durch zu schnelles und riskantes Fahren wieder aufzuholen. Dies führt zu einem Unfall mit geringfügigem Blechschaden, letztendlich kommt Ronald Rolli 50 Minuten zu spät.
Die Verhandlungen sind fast abgeschlossen und der Auftrag wird anderweitig vergeben.
Auf dem Rückweg macht Amelie A. Ronald Rolli Vorwürfe, weil der Auftrag nicht an die Pflege-Sicherungs-GmbH vergeben wurde.
Ambulanter Pflegedienst: Pflege in der eigenen Wohnung. Es gibt wenige gute und viele schlechte Pflegedienste. Der Organisationsaufwand ist hoch und die Bezahlung der Mitarbeiter oft ähnlich schlecht wie die geleistete Pflege.
Pflegedienst

Axel Ambulanz

Von der Pflege-Sicherungs-GmbH wird nur eine Stunde Fahrzeit kalkuliert. Axel A. kommt jedoch eine Stunde früher, fährt sehr gut und kommt pünktlich an.
Der Auftrag wird an die Pflege-Sicherungs-GmbH vergeben.
Auf dem Rückweg erklärt Axel A., dass er den ständigen Stress nicht mehr erträgt und in einen anderen Beruf wechseln möchte.
Ambulanter Pflegedienst: Einige Pflegedienste sind aus Selbsthilfegruppen entstanden - dann ist die Versorgung eher besser. Der Organisations-Aufwand ambulanter Pflegedienste wird oft unterschätzt. Häufig treten Probleme mit den Kostenträgern auf, die notwendige Leistungen nicht bezahlen wollen. Auch hier ist die Belastung der Angestellten meist hoch. Immerhin gibt es wenigstens einige bessere Pflegedienste; jedoch ist die weitere Entwicklung von der Gesundheitspolitik abhängig.
Pflegedienst

Anna Assistenz

Da Ronald Rolli ein freier Mitarbeiter ist, wird ihm ein Betrag zur Verfügung gestellt, der es ihm ermöglicht eine Fahrerin auf durchschnittlichem Lohnniveau zu bezahlen. Ronald muss jedoch sämtliche Verwaltungsarbeiten übernehmen, d.h. auch selbständig eine Fahrerin suchen. Anna Assistenz fährt gut und erreicht das Ziel in zwei Stunden.
Der Auftrag wird an die Pflege-Sicherungs-GmbH vergeben.
Assistenz / Arbeitgebermodell: Für Leistungsempfänger und oft auch für Arbeitnehmer die beste Form der Behindertenhilfe. Die Arbeitnehmer sind meist Laienhelfer, denn ausgebildete Pflegekräfte werden selten finanziert und sind auch nicht in jedem Fall notwendig. Beim "Arbeitgebermodell" wird die aufwendige Organisation von den Behinderten selbst durchgeführt. Da die Organisationskosten nur geringfügig den Kostenträgern in Rechnung gestellt werden, ist das Preis-Leistungs-Verhältnis konkurrenzlos günstig. Inzwischen zeichnet sich auch eine Förderung des Arbeitgebermodells durch den Staat ab.
Allerdings ist der Organisationsaufwand so hoch und so schwierig, dass nur ein Bruchteil der Pflegeabhängigen zu dieser Versorgungsform überhaupt fähig ist. Es gibt jedoch inzwischen auch Beratungsstellen und Assistenzgenossenschaften.
Assistenz

Regina Rolli

Ronalds Ehefrau bekommt einen Tag Urlaub und übernimmt den Chauffeur-Job. Sie ist unausgeschlafen, weil sie am Tag zuvor mehrere Überstunden machen musste, um den freien Tag zu erhalten. Die Pflege-Sicherungs-GmbH erklärt sich bereit, die Benzinkosten für den Privatwagen zu übernehmen, über eine weitere Bezahlung müsse noch nachgedacht werden. Die Fahrzeit beträgt 2 Stunden.
Der Auftrag wird an die Pflege-Sicherungs-GmbH vergeben.
Auf dem Rückweg kommt es zu einem Unfall mit geringfügigem Blechschaden. Zwei der drei Vorstandmitglieder der Pflege-Sicherungs-GmbH sprechen ihr Bedauern aus und erklären, sie würden gern für den Blechschaden aufkommen. Doch ihnen seien die Hände gebunden, da für solche Dinge das dritte Vorstandsmitglied zuständig ist. Der ist allerdings im Urlaub, sein Sekretär erklärt jedoch, der Blechschaden könne nicht bezahlt werden, da die Vorschriften dies nicht zu ließen.
Angehörige: Die Pflegeversicherung hatte auch zum Ziel, die Angehörigen-Pflege zu fördern. Leider wird die Arbeitskraft hierbei häufig übermäßig ausgenutzt und schlecht, bzw. gar nicht bezahlt. Andererseits muss die ohnehin vorhandene Anwesenheit eines Familienmitgliedes sicherlich nicht genauso vergütet werden, wie bei einem professionellen Pflegedienst.
Angehörige